Zentrale Säule des Arbeitsschutzes ist die Pflicht des Arbeitgebers zur Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung. Die Gefährdungsbeurteilung dient dazu, sich über die vorhandenen Gefährdungen klar zu werden, damit die „richtigen“ Schutzmaßnahmen getroffen werden können. Zweckmäßigerweise orientiert sich das Vorgehen an der im Einzelfall vorliegenden Betriebsart und der Betriebsgröße mit den jeweils auftretenden Gefährdungsfaktoren
(z. B. arbeitsstättenbezogene, arbeitsmittel- und tätigkeitsbezogene Risiken).
Die Gefährdungsbeurteilung verpflichtet die Unternehmens-leitung ausdrücklich auch dazu, psychische Belastungsfaktoren im Arbeitsschutzhandeln entsprechend der jeweiligen Bedeutung für die Arbeitstätigkeit mit zu berücksichtigen. Im Anschluss an die Ermittlung der Gefährdungsfaktoren zielt die Gefährdungsbeurteilung darauf ab, sinnvolle und notwendige Schutzmaßnahmen abzuleiten.
Delegation von Pflichten der Unternehmensleitung (Pflichtenübertragung)
Die Arbeitsschutzvorschriften richten sich ausschließlich an die Unternehmensleitung und an die Beschäftigten/Versicherten.
Neben der Unternehmensleitung sind für die Erfüllung der Arbeitsschutzpflichten aufgrund ihrer Stellung im Unternehmen ohne eine gesonderte Beauftragung verantwortlich
• die gesetzliche Vertretung,
• das vertretungsberechtigte Organ einer juristischen Person,
• vertretungsberechtigte Gesellschafter und Gesellschafterinnen einer Personenhandelsgesellschaft,
• Personen, die mit der Leitung eines Unternehmens oder eines Betriebes beauftragt sind, im Rahmen der ihnen
übertragenen Aufgaben und Befugnisse.
Kann die Unternehmensleitung ihren vielfältigen Verpflichtungen für Sicherheit und Gesundheitsschutz nicht in vollem Umfang persönlich nachkommen (z. B. aufgrund der Größe des Betriebes, mangels spezieller Fachkunde oder wegen anderer Arbeitsschwerpunkte), ist sie auf die Unterstützung und Mithilfe von Führungskräften angewiesen, die an ihrer Stelle Verantwortung vor Ort wahrnehmen. Sie kann zuverlässige und fachkundige Personen damit beauftragen, ihr obliegende Arbeitsschutzpflichten in eigener Verantwortung wahrzunehmen.
Obwohl die betrieblichen Führungskräfte in der Praxis ein hohes Maß an Verantwortung für den Arbeitsschutz tragen, finden sie in den Arbeitsschutzvorschriften kaum Erwähnung. Darin sind weder eigenständige Regelungen für Führungskräfte noch besondere Pflichten festgelegt.
Ob und in welchem Umfang die Unternehmensleitung Pflichten delegiert, ist nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt. Dies hat diese im Rahmen ihrer unternehmerischen Organisationsverantwortung selbst festzulegen.
Sofern es sich nicht um eine Pflichtenübertragung kraft Gesetzes handelt (§ 13 Abs. 1 ArbSchG), sieht das Arbeitsschutzgesetz vor, dass Führungskräfte mit der Wahrnehmung von Unternehmerpflichten im Arbeitsschutz schriftlich beauftragt werden. Die Schriftform dient der Transparenz und Dokumentation.
Verantwortung zu tragen setzt die Möglichkeit voraus, sicher-heitswidrige Zustände und vorschriftswidriges Verhalten selbst durch geeignete Maßnahmen abzustellen. Nur wer unmittelbar auf die Verhältnisse einwirken kann, ist in der Lage, sachgerecht Verantwortung wahrzunehmen. Deshalb können Pflichten im Arbeitsschutz nur soweit übertragen werden, wie die Befugnisse desjenigen reichen, der die Pflichten wahrnehmen soll. Fehlt die Möglichkeit zur unmittelbaren Einflussnahme oder Gestaltung, wird nur die Verantwortung getragen, die jeder bzw. jede Beschäftigte hat.
Sind Verantwortliche selbst nicht in der Lage (z. B. wegen fehlender Verfügungsbefugnis über Geldmittel), die erforder-lichen Maßnahmen durchzuführen, müssen sie ihre Führungs-kraft bzw. die Unternehmensleitung in Kenntnis setzen.
Auch wenn die Unternehmensleitung Pflichten auf andere Beschäftigte übertragen hat, bleibt sie dafür verantwortlich, dass Verpflichtete die zur Wahrnehmung der Pflichten erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse besitzen. Die Unternehmensleitung muss eine sorgfältige Auswahl treffen und darüber hinaus kon-trollieren, ob die übertragenen Pflichten wahrgenommen werden.
Soweit Unternehmerpflichten wirksam delegiert sind, haben Verpflichtete die Erfüllung aller Anforderungen aus den Arbeits-schutzbestimmungen in eigener Verantwortung sicherzustellen. Im Rahmen der übertragenen Pflichten haften sie auch für Versäumnisse im gleichen Umfang wie die Unternehmens-leitung.
Pflichten der Führungskräfte
Der Begriff „Führungskraft“ ist im Arbeitsschutz weit gefasst: Führungskräfte sind Beschäftigte des Unternehmens mit Weisungsbefugnis gegenüber den ihnen unterstellten Beschäftigten. Führungskraft ist auch, wer die Weisungsbefugnis nur vorübergehend ausübt. So haben Beschäftigte, die keine Führungskräfte sind, beim Einweisen von Auszubildenden gegenüber diesen Schutz- und Fürsorgepflichten wie die Unternehmensleitung.
Führungskräfte sind schon aufgrund ihres Arbeitsvertrages, ihrer Stellung im Betrieb und der ihnen damit übertragenen Befugnisse und Zuständigkeiten verpflichtet, in dem ihnen unterstellten Bereich alle nach den Arbeitsschutzvorschriften erforderlichen Anordnungen und Maßnahmen zu treffen.
Die konkret wahrzunehmenden Pflichten werden von der Unternehmensleitung im Rahmen einer schriftlichen Beauf-tragung übertragen. Sie können im Arbeitsvertrag beschrieben sein, sich aus einer Stellenbeschreibung ergeben oder auch in einem gesonderten Dokument festgelegt werden. Wichtig ist, dass sie möglichst konkret schriftlich dokumentiert sind.
Nur Personen, die berechtigt sind, ein Unternehmen oder einen Betrieb selbst zu leiten, brauchen keine schriftliche Be-auftragung.
Führungskräfte müssen in ihrem Zuständigkeitsbereich in eigener Verantwortung Maßnahmen nach den Arbeitsschutz-vorschriften treffen bzw. veranlassen. Sie müssen insbesondere
• Gefährdungsbeurteilungen durchführen oder veranlassen,
• sicherheitswidrige Zustände beseitigen,
• Unterweisungen durchführen oder veranlassen,
• Fehlverhalten von Beschäftigten beanstanden,
• Wirksamkeit von Maßnahmen feststellen und
• falls erforderlich gefährliche Arbeiten einstellen.
Führungskräfte müssen daher kontrollieren, ob die Anforderungen der Arbeitsschutzvorschriften beachtet werden, ob die Beschäftigten Anweisungen befolgen und sich sicherheitsgerecht verhalten. Häufigkeit und Intensität der Kontrolle hängen von den Umständen des Einzelfalls ab. Insbesondere von
• der Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines sicherheitswidrigen Zustandes,
• der Schwere eventueller Folgen, auch für Dritte,
• der Zuverlässigkeit der Beschäftigten bezüglich der Einhaltung von Arbeitsschutzvorschriften,
• der Erfahrung der Beschäftigten hinsichtlich der Gefährdungen am eigenen Arbeitsplatz und
• der Art der getroffenen Schutzmaßnahmen.
Kontrollen müssen umso häufiger und intensiver sein, je stärker die Benutzung oder die Wirkung einer Schutzmaßnahme von den Beschäftigten selbst beeinflusst werden kann. Das ist z. B. besonders beim Tragen persönlicher Schutzausrüstungen der Fall.
Soweit Maßnahmen zu treffen sind, die über die Befugnisse der Führungskraft hinausgehen, muss diese – ebenso wie
Beschäftigte ohne Vorgesetztenfunktion –
• die Meldung an die zuständige Führungskraft und
• vorläufige Sicherungsmaßnahmen veranlassen.
Pflichten der Beschäftigten
Alle Beschäftigten sind verpflichtet, sich sicherheits- und vorschriftengerecht zu verhalten, so dass sie sich und andere nicht gefährden. Dazu gehört
• Weisungen der Unternehmensleitung zum Zweck des Arbeitsschutzes zu befolgen,
• zur Verfügung gestellte persönliche Schutzausrüstungen zu benutzen,
• betriebliche Einrichtungen bestimmungsgemäß zu benutzen,
• festgestellte Mängel unverzüglich zu melden, insbesondere ihrer Führungskraft, sofern die Beseitigung
der Mängel wegen fehlender Sachkenntnis oder Zuständigkeit nicht möglich ist.
Aus Pflichtverletzungen können sich rechtliche Konsequenzen ergeben.
Pflichten der Sicherheitsbeauftragten
Sicherheitsbeauftragte haben die Aufgabe, die Unternehmens-leitung „vor Ort“ bei der Durchführung des Arbeitsschutzes zu unterstützen. Insbesondere sollen sie in ihrem Zuständigkeitsbereich
• sich von dem Vorhandensein und der ordnungsgemäßen Benutzung der vorgeschriebenen
• Schutzeinrichtungen und persönlichen Schutzausrüstungen überzeugen,
• Mängel an Führungskräfte melden und auf die Beseitigung hinwirken,
• Hinweise und Empfehlungen zur Beseitigung von Gefahren und Sicherheitsmängeln geben und
• andere Beschäftigte über Fragen des Arbeitsschutzes informieren und zu sicherheitsgerechtem Verhalten anregen.
Sicherheitsbeauftragte können in dieser Funktion keine Weisungen erteilen. Aus der Aufgabe der bzw. des Sicherheitsbeauftragten ergibt sich kein zusätzliches Haftungsrisiko, wenn durch sicherheitswidrige Zustände ein Schaden entsteht. Zu Sicherheitsbeauftragten sollen Beschäftigte ohne Vorgesetztenfunktion bestellt werden.
Pflichten der Fachkräfte für Arbeitssicherheit
Fachkräfte für Arbeitssicherheit haben die Aufgabe, die Unternehmensleitung in allen Fragen des Arbeitsschutzes, einschließlich der menschengerechten Gestaltung der Arbeit, zu unterstützen. Zu ihren Aufgaben zählen insbesondere
• Beratung von Unternehmensleitung und Führungskräften,
• sicherheitstechnische Prüfung von Arbeitsmitteln,
• Hinwirken auf sicheres Verhalten, auf die Beseitigung von Mängeln und
• Information der Beschäftigten über Unfall- und Gesundheitsgefahren.
Aufgabe der Fachkräfte für Arbeitssicherheit ist es, Entscheidungen und Maßnahmen der Unternehmensleitung vorzubereiten. Dazu machen sie Vorschläge zur Verbesserung des Arbeitsschutzes. Als beratende Personen haben sie jedoch selbst nicht unmittelbar die Möglichkeit, sicherheitswidrigen Zuständen abzuhelfen. Die Entscheidung über die Durchführung und damit auch die Verantwortung liegt bei der Unternehmensleitung oder deren Beauftragten.
Reicht die eigene Sachkenntnis nicht aus, müssen die Fachkräfte für Arbeitssicherheit die Unternehmensleitung informieren und auf die Hinzuziehung geeigneter Sachverständiger hinwirken (z. B. Aufsichtspersonen der Berufsgenossenschaften, TÜV-Sachverständige).
Fachkräfte für Arbeitssicherheit sind bei der Ausübung der sicherheitstechnischen Fachkunde nicht an Weisungen gebunden und unabhängig.
Sie haben aufgrund dieser Aufgabe keine eigene Weisungs-befugnis. Falls sie jedoch gleichzeitig im Unternehmen Vorgesetztenfunktion wahrnehmen und Weisungsbefugnis besitzen, ergibt sich hieraus die entsprechende
Verantwortlichkeit. Ansonsten können sich – wie bei jeder/jedem Beschäftigten – bei Pflichtverletzung rechtliche Konsequenzen ergeben.
Kommen die Fachkräfte für Arbeitssicherheit ihrer Verpflichtung zur Beratung nicht ordnungsgemäß nach, ist dies ein Verstoß gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten.
Pflichten der Betriebsärztinnen bzw. -ärzte
Aufgabe der Betriebsärztinnen bzw. -ärzte ist es, die Unternehmensleitung in allen Fragen des Gesundheitsschutzes zu unterstützen. Zu ihren Aufgaben zählen insbesondere
• Beratung von Unternehmensleitung und Führungskräften,
• arbeitsmedizinische Untersuchung, Beurteilung und Beratung der Beschäftigten,
• Hinwirken auf die Beseitigung von Mängeln und
• Information der Beschäftigten über Unfall- und Gesundheitsgefahren sowie Erste-Hilfe-Maßnahmen.
Betriebsärztinnen bzw. -ärzte haben auf dem Gebiet der Arbeitsmedizin vergleichbare Aufgaben wie Fachkräfte für Arbeitssicherheit in sicherheitstechnischen Fragen und sind im selben Umfang verantwortlich. Auch sie sind bei der Anwendung ihrer arbeitsmedizinischen Fachkunde weisungsfrei. Sie unterliegen der ärztlichen Schweigepflicht, auch gegenüber der Unternehmensleitung.
Pflichten der Koordinatorinnen bzw. Koordinatoren
Werden Beschäftigte mehrerer die Unternehmensleitung oder selbstständige Einzelunternehmer bzw. Einzelunternehmer-innen an einem Arbeitsplatz tätig, haben diese hinsichtlich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten zusammenzuarbeiten. Insbesondere haben sie, soweit es zur Vermeidung einer möglichen gegenseitigen Gefährdung erforderlich ist, eine Person zu bestimmen, die die Arbeiten aufeinander abstimmt. Diese Person wird in dieser Schrift als Koordinatorin/Koordinator bezeichnet. (Dieser Koordinator/diese Koordinatorin ist nicht identisch mit dem Koordinator nach der Baustellenverordnung. Da bei der Errichtung, der Änderung und dem Abbruch baulicher Anlagen die gegenseitige Gefährdung häufig besonders gravierend ist, gehen die Aufgaben des Koordinators nach der Baustellenverordnung darüber hinaus.)
Die Befugnisse des Koordinators/der Koordinatorin sollen bereits bei der Auftragsvergabe mit dem beauftragten Unternehmen vertraglich festgelegt werden. Zur Abwehr besonderer Gefahren ist die Koordinatorin/der Koordinator mit Weisungsbefugnis auszustatten.
Führungskräfte bleiben trotz Einsatz eines Koordinators/einer Koordinatorin für ihre Beschäftigten verantwortlich.
Quelle: dguv.de